laudationen

Laudatio von Winfried Krämer zur Ausstellung "komm and see"

für Evelyn Krämer und Liz Marder-Etspüler am 7.08.2022

„komm and see“ – das ist endlich nach vielen Diskussionen zwischen den Künstlerinnen Liz Marder-Etspüler und Evelyn Krämer als Titel für diese gemeinsame Ausstellung in der Gunzoburg herausgekommen. Man verzeihe das kleine Wortspiel von see und See, aber es trifft beides zu. Kommt, öffnet die Augen, schaut genau hin, was wir euch mit unseren Bildern zeigen wollen. Jede auf ihre Weise, mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung und Sehweise, aber mit einer verwandten Intention: Schaut genau hin, geht in die Bilder hinein, verbindet unsren Blick, unsere im Bild gestaltete Innenwelt mit euren Blicken, euren Innenwelten, folgt unseren im Bild dargestellten Blicken, aber macht euch euer eigenes Bild, macht es zum Teil eurer eigenen Bilderwelt. An dem Titel wird klar, was die beiden Künstlerinnen verbindet, die ja in vielerlei Hinsicht so unterschiedlich sind: die Aufforderung zum Hinsehen – und die Verbindung zum Bodensee.
Ja, bei ähnlicher Intention arbeiten die beiden Künstlerinnen sehr unterschiedlich, haben sehr unterschiedliche Schwerpunkte und präsentieren sehr unterschiedliche Werke. Für mich macht diese Gegenüberstellung, diese Unterschiedlichkeit, gerade den Reiz dieser Ausstellung aus.

Die beherrschenden Themen bei Liz Marder-Etspüler sind die Natur und Landschaften. Die die Bilder und die deren Stimmung charakterisierenden Farbformationen, Linien und Horizonte sind der naturnahen Beobachtung entnommen. Sie sind in der Natur entstanden, auf Reisen vor allem, und sind so in das Atelier, in den Malvorgang gelangt. Diese grundlegenden Eindrücke formieren sich im Laufe des Malvorgangs zu einer Landschaftsvision. Durch das malerische Experimentieren erscheint etwas, eine bestimmte Landschaftsvorstellung. Dieses innere Bild wird durch zahlreiche Übermalungen und Schichtungen zu einem äußeren Bild gefestigt. Dabei kommen die unterschiedlichsten Techniken zum Einsatz: Malen, Spritzen, Sprühen, Kratzen und fließen lassen – und das in ganz vielen Schichtungen, die immer etwas durchscheinend verbleiben, dabei Licht- und Schattenwirkungen, die Vorstellung von Pflanzen und Strukturen erzeugen. Liz Marder-Etspülers Bilder sind dabei im Prinzip abstrakt, evozieren beim Betrachter aber tatsächlich die im Titel angedeutete Landschaft. Natürlich sind es keine naturgetreuen Darstellungen. Aber wo ist denn die Natur, wenn das Bild im Prinzip abstrakt ist? Liz Marder Etspüler gelingt es, das Wesentliche einer Landschaft zu verdeutlichen, die Natur in ihrer unberührten Form. So vermittelt z.B. ihr Bild „Savanne“ dem Betrachter das Gefühl von der Weite, der Unendlichkeit, eben dem Wesen und der Stimmung dieser Landschaft. Liz Marder-Etspülers Bilder haben konsequenterweise keinen Rahmen, damit der Blick des Betrachters über das Bild hinaus in die Ferne gleiten kann und nicht begrenzt wird. Dabei handelt es sich um imaginierte Landschaften, in denen der Mensch nicht vorkommt, keinen Fußabdruck hinterlassen hat – „Niemandsland“ eben – so nennt sie eine Serie, offen für den Betrachtenden, der sich in diese evozierte Landschaft hineinversetzen und diese mit seinen eigenen Blicken mitgestalten kann.

Dazu gibt es seit kurzem auch eine Serie mit imaginierten urbanen Landschaften, aus der in dieser Ausstellung auch Beispiele gezeigt werden. Hintergrund sind Assoziationen zu urbanen Erfahrungen aus Reisen nach Indien, Marokko, La Paz, Italien, wo man eine Urbanität erfahren kann, die sich in die Landschaft einpasst. Auf den ersten Blick erscheinen die Bilder aus der Vogelperspektive gemalt, aber auch hier geht es nicht um eine abbildende Darstellung, sondern um eine Formsprache des menschlichen Zusammenlebens angepasst an eine Landschaft.

Evelyn Krämer, meine geliebte Frau, wie die meisten Anwesenden wissen, hat einen sehr unterschiedlichen Ansatz. Sie hat kein überspannendes Thema, sondern mit jedem Bild arbeitet sie neu auf eine umgrenzte Situation hin. Hintergrund für diese singulären Situationen in ihren Bildern sind Erlebnisse und Erfahrungen – besonders auch aus ihren Auslandsaufenthalten in Spanien und Südamerika – die Gedankensplitter, Gefühle, Assoziationen abbilden, die dann im Zuge des Malprozesses jeweils einzeln in ihre Bildwelten umgesetzt werden. Der Malvorgang selbst ist ähnlich wie bei Liz Marder-Etspüler. Auch bei Evelyn Krämer entstehen zunächst mit unterschiedlichen Materialien und Schichtungen abstrakte Formationen. Sie ist weder auf ein Thema noch auf einen speziellen Stil festgelegt, sondern sucht das freie Spiel der Bildsprachen, wie sie selbst sagt. Sie experimentiert dabei zunächst spontan mit Farben und Techniken, alles kann benutzt werden, neben Acrylfarben sind Kreide, Pigmente, Kohle, Asche, Wachs, Steinmehl, Naturmaterialien als Färbungsmittel möglich, auch Kratzen, Schüttungen, selbst Regen und Sonne werden eingesetzt. Durch diese Mittel entsteht in ihren Bildern oft eine sinnlich erfahrbare Tiefe verbunden mit einer sensiblen Leichtigkeit. Ab einem bestimmten Punkt des Malprozesses verdichtet sich das Bild bei der Künstlerin zu einer imaginierten Situation, was dann für sie der Ausgangspunkt zur Weiterarbeit ist. Der Titel, als Ausdruck dieser Imagination, ergibt sich in dieser letzten Phase des Malprozesses. Damit ist die Bildaussage umgrenzt. Deshalb besitzen die meisten Bilder auch einen stark betonten Rahmen. Er grenzt die individuelle Bildsituation gegen das Außen ab, übrigens ganz im Gegensatz zu den Bildern von Liz Marder-Etspüler, die ja bewusst keinen Rahmen besitzen. Bei diesen in einen Rahmen gestellten individuellen Bilderfahrungen ist für mich das Faszinierende die immer zu erkennende Spannung, das Uneindeutige, ja das Fragile in der Bildwirkung. Der Blick des Betrachters kann selten stehen bleiben, immer gibt es einen weiten Interpretationsspielraum, der zum wiederholten Schauen einlädt.

Das fertige Bild kann /soll auf diese Weise beim Betrachtenden ein neues inneres Bild hervorrufen. Damit dieser Weg zum neuen inneren Bild beim Betrachter offenbleibt, sind auch die Titel offen formuliert und eröffnen damit einen weiten Interpretationsspielraum. „Rot gewinnt“, „Dazwischen“. Die Titel sind die Eingangstore zu einer Bildwelt, die sich der Betrachter mit seinen eigenen Assoziationen selbst ausgestalten kann. Das Bild „Closer to Paradise“ wird durch ein Hörbild – eine eigenständige Kunstform – ergänzt. Es handelt sich dabei um eine Kooperation mit dem Düsseldorfer Künstler und Autor -gleichzeitig mein Bruder – Tilmann Krämer, der dieses Mehrkanalhörbild erarbeitet hat.

Den Weg Evelyn Krämers zu der Malerin, die sie heute ist, habe ich natürlich als ihr Mann immer aus der Nähe begleitet. Eigentlich bin ich auch ein wenig schuld an diesem Weg, denn als sie als eine in Baden-Württemberg ausgebildete Lehrerin nach einer 3-jährigen Auslandstätigkeit in der deutschen Schule Bogotá aus Liebe mir nach Bayern folgte, wurde ihr tatsächlich dort das baden-württembergische Staatsexamen nicht anerkannt. Weitere staatliche Zusatzexamen waren die Bedingung, um in Bayern arbeiten zu können. So entschloss sie sich, neben anderen ergänzenden Ausbildungen (Montessoriausbildung, Jeux Dramatiques) ein Zusatzstudium in Kunst zu machen und auch die entsprechende Prüfung abzulegen u.a. mit dem Vorlegen eigener Arbeiten, die große Anerkennung erhielten. Und jetzt tatsächlich, Bayern war gnädig: Nach weiteren Probejahren durfte sie wirklich eine verbeamtete bayrische Lehrerin sein, kaum zu glauben.
So kam Evelyn Krämer zum Malen, zunächst vor allem als Kunstpädagogin, mit großem Erfolg, da sie wiederholt mit Klassen an Wettbewerben teilnahm, bei denen ihre Schülerinnen und Schüler deutsche und europäische Preise errangen. Parallel dazu begann sie mit eigenen Werken, machte verschiedene Kunstkurse bei unterschiedlichen Dozentinnen und Dozenten, u.a. bei Ines Hildur, mietete schließlich Atelierräume, um unabhängiger arbeiten zu können. Bei einem Kunstkurs bei Ines Hildur lernte sie Liz Marder kennen und als Freundin schätzen. Liz Marder hatte inzwischen in Gottmadingen in der alten Fahr – Traktorenfabrik einen Atelierraum gemietet. Evelyn Krämer sah hier die Gelegenheit, intensiver und nicht so isoliert arbeiten zu können und mietete sich schließlich ebendort ein, so dass sie auf diese Weise in engen künstlerischen Austausch kommen konnten. Dieses Atelier und dieser Kontakt, hatte auch für sie zur Folge, dass die Malerei immer mehr Bedeutung für sie erhielt.
Ergebnis dieser äußeren und inneren Entwicklung und des intensiven Kontaktes der beiden Künstlerinnen ist der gemeinsame Eintritt in den IBC, den Internationalen Bodenseeclub, und natürlich die jetzige gemeinsame Ausstellung.

Liz Marder-Etspüler, die ich als Evelyns Künstlerfreundin mittlerweile auch schon kennen und schätzen gelernt habe, hat einen anderen Weg hinter sich. Sie hat eigentlich schon immer gemalt, wie sie erzählt. Zunächst hat sie Dekorateurin und Mediengestalterin gelernt, aber schon immer hat sie nebenbei gemalt, das Skizzenbuch war auf ihren Wanderungen und Reisen ein wichtiger Begleiter. Sie war lange Zeit Mitglied im Malkreis Tiengen und leitete Kindermalkurse. 2010 gründete sie zusammen mit zwei Künstlerkolleginnen das „KUNST HAUS TIENGEN“, ein altes Haus in der Innenstadt. Die Gründung dieses Ateliers war ein nächster wichtiger Schritt zur Professionalisierung, zusätzlich zu dem Besuch von Seminaren – u.a. in der Schule für Gestaltung in Zürich, bei Prof. Jo Bukowski und bei der Leipziger Künstlerin Ines Hildur, bei der sie ja auch Evelyn Krämer kennengelernt hat. Mit dem Bezug des Ateliers in Gottmadingen, vor zwei Jahren hat das Malen immer mehr Raum und Bedeutung für sie eingenommen. Es gab eine Reihe von Ausstellungen und auch immer wieder Verkäufe, so dass Liz Marder-Etspüler sich heute als professionelle Malerin mit regionaler Anerkennung bezeichnen kann.

Was verbindet unsere beiden Künstlerinnen?
Beide lieben das Malen als Tätigkeit. Sie sind dann ganz bei sich und können alles drumherum vergessen. Beide lieben Musik beim Malen, beide Latino, vor allem Salsa, Liz auch klassische Musik. Beide experimentieren mit Farbschichtungen und Material. Nichts, was als Malschicht nicht zu gebrauchen ist: Außer Acryl und Temperafarben Kaffee, Tee, Sand, Kreiden, auch Rotwein – keine Technik wird ausgelassen: Pinsel, Besen, Stangen, Schüttungen, Spritzen. Beide lassen sich bis zu einem bestimmten Punkt vom Malprozess führen, beginnen dann mit einer bewussteren Gestaltung hin zu der empfundenen Malidee, die sich zu dem äußeren Bild verfestigt.

Worin sind sie unterschiedlich. Erst einmal in ihren jeweiligen Temperamenten, die sich auch in ihren Bildern ausdrücken. Liz eher ruhig und eher gelassen, Evelyn eher impulsiv und stets neugierig, auf etwas Neues ausgerichtet.

Entsprechend unterschiedlich die Bilder:
Evelyns Bilder enthalten immer eine Spannung, etwas Spannendes, das es zu entdecken gilt. Die Bilder wirken als einzelne, werden vom Betrachtenden auch in dieser Unterschiedlichkeit, in ihrer Individualität wahrgenommen: Man mag sie sehr – oder man versteht sie auf den ersten Blick nicht so. Die Bilder von Liz Marder-Etspüler strahlen eine Ruhe und Harmonie aus. Sie teilen jedem Raum diese Harmonie mit, vermitteln diese Harmonie auch dem Betrachtenden, ihre Werke sind insgesamt deshalb alle allen zugleich leichter zugänglich.
Ich kann mir auch den Malprozess bei den Beiden als unterschiedlich vorstellen. Liz hat in ihrem Atelierraum, der sehr gemütlich eingerichtet ist, ein bequemes Zweiersofa mit einem kleinen Kaffeetisch. Sie unterbricht den Malvorgang, hängt auf der Wand vor dem Sofa ihr gerade im Malprozess befindliches Bild auf, setzt sich auf das Sofa, betrachtet das Bild eine Weile, trinkt dazu einen Kaffee – und dann malt sie weiter mit der nächsten Schicht. So entstehen diese wunderbar durchscheinenden Bildlandschaften.
Evelyns Atelier ist nüchterner eingerichtet. Ich stelle mir vor, wie Sie erst alles genau zurechtlegt, dann aber spontan beginnt und impulsiv die Leinwand bearbeitet. Ich sehe sie immer in Bewegung, sie läuft vor und zurück, nimmt Abstand, Schichtungen und Linien werden dabei spontan auf- bzw. abgetragen, teils auf dem Boden, teils auf der Staffelei mit ihren unterschiedlichen Perspektiven. Das geht so energisch weiter bis zu dem bestimmten Punkt, an dem ihr deutlich wird, wohin sich das Bild entwickeln will. Dann macht sie eine Kunstpause, geht vielleicht mal für einen Kaffee ins Atelier von Liz. Nach dieser Unterbrechung arbeitet sie bewusst gestaltend weiter und folgt dabei der vorher entstandenen Bildidee bis zum fertigen Bild.
Und die Quintessenz: Es ist wunderbar, dass sich die beiden Künstlerinnen zusammengefunden haben. Es ist toll, dass es diese Ausstellung gibt. Und an uns alle die Aufforderung: Komm and see!!
(Als Nächstes ein kleines Experiment für uns alle. Die Idee stammt von dem kürzlichen Besuch der Dokumenta in Kassel. Jede Besucherin / jeder Besucher sucht jemand anderen, um mit ihm/mit ihr ins Gespräch über ein Bild zu kommen. Wichtig: Es sollte möglichst jemand sein, den/die man nicht oder weniger gut kennt, z.B. ein zufälliger Mensch, der gerade in der Nähe steht. Die Beiden, die sich so gefunden haben, suchen sich ein Bild heraus, Was spricht mich in dem Bild besonders an? Was irritiert mich? Was sehe ich? Was sagt das Bild mir? Und los geht es. Suchen Sie sich einen Gesprächspartner und kommen Sie ins Gespräch. Das Ganze etwa 5 Minuten, aber Sie können natürlich weiter diskutieren. Während der Zeit spielt Martin ein Stück und dann können wir weiter auf die Ausstellung anstoßen.)

Laudatio von Kathrin Ensinger zur Ausstellung "harmonie im quadrat"

– quadratische Harmonie, harmonische Quadrate; Harmonie in Farbe – farbige Harmonie, harmonische Farbe

Der Suche nach Harmonie, dem Gefühl von Harmonie werden Sie, liebe Gäste, in der Ausstellung, die es heute zu eröffnen gilt, auf Schritt und Tritt begegnen. Was Sie hier sehen werden sind natürlich fertige Kunstwerke, aber sie haben – gemeinsam mit der Künstlerin – einen langen, ganz eigenen Weg zurückgelegt. Dieser Weg nimmt schon früh seinen Anfang und beginnt, wen wird es wundern, natürlich mit Liz selbst. Nun möchte ich Ihnen allerdings nicht die altbekannte Geschichte einer Künstlerin erzählen, die bereits von Kindesbeinen an keinen anderen Wunsch hatte als zu Malen; die in der Schule Geschichte lieber in Bilder gebannt hat, als Zahlen und Fakten zu lernen; die für ein Bild eine schlechtere Note bekam, weil die Lehrerin davon überzeugt war, dass dieses nicht selbst gemalt war. Dies wäre die Geschichte einer Frau, die nie etwas anderes werden wollte als eine Malerin und stets zielstrebig darauf hingearbeitet hat, das zu werden, was sie heute ist: eine Künstlerin mit einem eigenen Atelier, eigenen Ideen, eigenen Vorstellungen von Farben, Material und Formen, die sie auf ihre ganz eigene Weise umsetzt.
Für mich liegt das Spannende und sogar Ermutigende ihrer Geschichte eher darin, dass sie dieses Ziel auf Umwegen erreicht hat, es vielleicht sogar erst spät für sich als Ziel entdeckt hat, nachdem sie zunächst Dekorateurin und Mediengestalterin gelernt hatte, geheiratet hatte und zwei Söhne zur Welt gebracht hatte. Von ihren drei Männern stets rat- und tatkräftig unterstützt, hatte sie es freilich nie ganz aus den Augen verloren: seit 1994 ist sie bereits Mitglied im Malkreis Tiengen, wo sie so vieles über Maltechniken und Farben gelernt hat, dass sie lange Jahre Kurse an der Volkshochschule Hohentengen und der Kindermalschule in Tiengen leitete.
Doch erst als sie gemeinsam mit zwei Kolleginnen ein Atelier in Tiengen gründete und sich dort einen eigenen Raum für ihre Kunst schaffte, war wohl die Zeit gekommen: sie kündigte ihre Anstellung in der Druckerei in Schaffhausen und begann, sich ausschließlich der Malerei zu widmen. Einige Zeit später entdeckte sie dann in den Malkursen einer Leipziger Künstlerin ganz neue Möglichkeiten, Farben und unterschiedlichste Materialien einzusetzen.
Schon immer hat sie sich Zeit für ihre Bilder genommen, ging und geht viel auf Wanderschaft – mit dem Skizzenbuch als ihrem wichtigsten Begleiter. Ihre Motive fand und findet sie vor der eigenen Haustür so zahlreich wie in fremden Ländern, beim Umherwandern so gut wie bei stiller Beobachtung; ihre unmittelbare Umwelt ist ihr ebenso Inspiration wie Empfindungen und Stimmungen in ihrem Inneren. Nun halfen ihr die neu erlernten Techniken im Umgang mit Farbe und Material, diese Stimmungen ins Zentrum ihrer Malerei zu rücken und sie auf sehr unmittelbare, zunehmend abstrakte Weise auf der Leinwand erscheinen zu lassen.
Ich sage bewusst, etwas erscheint auf der Leinwand, denn ebensowenig, wie man voraussagen kann, welche Richtung Stimmungen einschlagen, so wenig stand am Anfang dieser Bilder eine klare Vorstellung davon, wie sie am Ende aussehen werden oder gar aussehen sollen. Und damit wären wir bei dem Weg der Bilder, von dem ich eingangs sprach. Liz lässt ihre Bilder entstehen, in dem sie Schicht für Schicht, ihren Empfindungen und Gefühlen folgend, Farben und unterschiedliche Materialien auf die Leinwand aufträgt: vielleicht werden Sie ebenso überrascht sein wie ich, dass neben Acryl und Öl auch Bitumen, Kaffee, Asche, Kreide, Kohle, Wachs und manches andere auf die Leinwand kommen und für ganz unterschiedliche, erstaunliche Effekte sorgen. Indem sie diese Schichten übereinanderlegt, legt sie gleichsam Konturen, Muster, Bruchstücke, Formen frei. Diese entwickeln eine Art Eigenleben, welches sie auch dann nicht aufzugeben scheinen, wenn die letzte Schicht aufgetragen, ein Motiv gefunden und das Bild am Schluss fixiert ist. In diesem Prozess verändert sich das entstehende Bild ständig, allmählich kristallisiert sich immer deutlicher ein Motiv heraus, welches so lang ausgefeilt wird, bis… – ja, bis die Harmonie (wieder)hergestellt ist und sich im Bild widerspiegelt: als Harmonie in Quadrat, Harmonie der Farben und Formen, die zuweilen leer erscheinen und doch gerade dadurch den Raum und die Weite, die Ruhe und Stille erzeugen, die es braucht, um eigenen Emotionen, Assoziationen, Fantasien ihren freien Lauf zu lassen.
Die Schichten aber bleiben sichtbar und hauchen dem Bild Leben ein, verändern es, je nachdem aus welcher Entfernung, bei welchem Licht, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.
Wenn Sie nun durch die Ausstellung gehen werden und nach einem Zugang zu den Bildern suchen, so folgen Sie vielleicht einfach dem Prinzip der Entstehung dieser Bilder: suchen Sie nicht angestrengt nach einem Motiv oder auch nur nach einer Form. Lassen Sie sich Zeit bei der Betrachtung, so dass vor Ihren Augen etwas entstehen kann – Konturen, Muster, Form(en), Motiv(e). Trauen Sie Ihren ganz persönlichen Assoziationen. Die meisten Bilder haben keinen Titel, also sind Sie frei zu sehen, was immer Sie entdecken können. Und wenn Sie NICHTS entdecken, nichts außer Harmonie und Stille, oder nur Stille, oder nur Harmonie, oder keines von beidem, nun, auch dann sind Sie gedanklich mittendrin in der Beschäftigung mit einem Bild oder auch einer Gruppe von Bildern – und wer weiß, wo diese Sie hinführt.

Laudatio von Dietmar Hosp zur Ausstellung "struktur der natur"

Liebe Gastgeber vom Öpfelbaum, liebe Gäste, liebe Freunde und vor allem, liebe Liz

Als du mich gefragt hast, ob ich heute anlässlich deiner Ausstellung ein paar Worte sagen möchte und dass dich das sehr freuen würde, musste ich nicht lange überlegen: „Alte und beste Kiesgrubenfreunde lässt man selbstverständlich nicht im Stich!“ Wenn Ihr euch nun fragt, „ja, hatten die armen Kinder denn keinen Sandkasten?“, dann kann ich euch beruhigen. Wir haben uns nicht schon bei Schäufelchen und Förmchen kennengelernt, sondern einige Jahre später, als die Interessen schon anders gelagert waren und man die alte Kiesgrube in Geißlingen zum legendären Festplatz gekürt hatte.
Genauso gut hätte ich aber auch sagen können „Alte und beste Öpfelbaumfreunde lässt man nicht im Stich“. Denn wo war man, wenn es geregnet oder der Winter wieder Einzug gehalten hatte? Natürlich genau hier, im „Ö“. An dieser Stelle, liebes Öpfelbaum-Team, einen ganz herzlichen Dank an Euch im Allgemeinen, für die tolle Plattform, die Ihr der Kultur und dem Beisammensein von Menschen seit vielen Jahrzehnten hier bietet und einen ganz herzlichen Dank im Besonderen, dass Ihr Liz mit ihren Bildern und dieser Vernissage erneut in Eure Räume eingeladen habt.

Aber nun zu Dir, liebe Liz. Liz Marder-Etspüler ist im Klettgau in Geißlingen aufgewachsen und über Ihr Alter sei nur verraten, dass es natürlich das beste ist. Liz ist verheiratet und hat 2 erwachsene Söhne, sie lebt in der kleinen Gemeinde Günzgen bei Hohentengen. Schon ihre Berufswahl der Dekorateurin zeigt, dass sie dem Gestalterischen und Musischen von Beginn an sehr zugetan ist. Über Ihre Schulzeit kann ich leider nichts sagen, aber es steht zu vermuten, dass Mathematik von ihr nicht das Prädikat „Lieblingsfach“ erhalten hat – oder, Liz? Später hat sie einige Jahre als Mediengestalterin gearbeitet und dabei immer mehr ihre Leidenschaft zur Kunst entdeckt und gelebt. Diese Leidenschaft hat sie gezielt geschult und entwickelt, sei es durch die langen Jahre als Mitglied im Malkreis Tiengen oder durch gezielte und teils individuelle Weiterbildungen. Sie war an der Schule für Gestaltung in Zürich, hat mehrere Seminare in der Fabrik am See in Horn und an der Freien Kunst Akademie in Augsburg, bei der Künstlerin Ines Hildur, besucht. Schon 1997 hat Liz begonnen, ihre Bilder auszustellen, zuerst in Gruppenaustellungen und dann, seit 2009, in jährlicher Regelmäßigkeit mit Vernissagen hier in der Region, aber auch schon über diese Grenze hinaus in Freiburg. 2010 hat Liz zusammen mit zwei weiteren Künstlerinnen, auch Malerinnen, in der Tiengener Altstadt in der Weihergasse das Atelier „kunst haus tiengen“ gegründet. Dort kann man sie meist an 3 Tagen in der Woche antreffen und sie hat mir verraten, dass sie trotz der Entfernung immer sehr gern in das Atelier geht – dieser bewusste Abstand von der Umgebung zu Hause ist eine der wichtigen Quellen, aus denen ihre Inspiration fließen kann.

„Kälte im Winter“
Ich selbst bin ja kein ausgeprägt kunstsinniger Mensch und schon gar kein Maler. Wenn bei mir von beruflicher Seite Kreativität gefordert ist, dann muss sich diese innerhalb von ziemlich klaren technischen und wirtschaftlichen Regeln bewegen – was für mich aber auch absolut gut so ist. Die einen – (also ich) – finden eben nach kurzer Analyse heraus, warum der Thermosflaschen Inhalt in die Handtasche getröpfelt ist und die anderen – (hier nenne ich jetzt keinen Namen) – haben wahrscheinlich in einem Moment hoher künstlerischer Inspiration oder Konzentration, einfach nur die Dichtung falsch rum auf den Thermosflaschenstöpsel montiert. Ich war also sehr sehr gespannt auf den Besuch bei Liz im Atelier und das Unbekannte, das mich dort erwarten sollte. Wie entsteht so ein Gemälde, welche Gedanken gehen da durch ihren Kopf, welches Material, welche Techniken werden da eingesetzt und warum gerade diese? Zuerst einmal – lernte ich – fängt es ja gar nicht im Atelier an. Bilder beginnen zu entstehen im täglichen Leben, auf Spaziergängen oder auf Reisen. Diese Eindrücke gelangen manchmal als Skizzen oder im Kopf und oft mehr noch im Bauch mit ins Atelier, wo das Material auf seine Verarbeitung wartet. Manchmal findet sich aber dann das passende Material noch nicht und es braucht die Lust und Freude am Experimentieren. Liz stellt sich dann also wohl die Frage: „What else?“ und einige Gedanken später verwandelt sich der so beworbene Kaffee in eine tiefbraune Grundierung auf der Leinwand… (ich darf Ihnen an dieser Stelle verraten, dass genau diese Farbe in den meisten der hier ausgestellten Werke, wenn auch nicht immer direkt sichtbar, vorhanden ist). Und wenn die klassischen Utensilien wie Wachse, Kreiden, Kohle oder Stifte immer noch nicht ausreichen, dann gibt es ja auch noch die Asche aus dem Ofen, ein Steinmehl (vielleicht selbst gewonnen in besagter Kiesgrube) oder ein getrocknetes Baumharz. Mit Acryl oder auch reinen Farbpigmenten kombiniert, in vielen, ungezählten Schichten aufgetragen und komponiert, manches Mal auch verworfen und vielleicht Wochen später wieder anders arrangiert, entstehen dann diese faszinierenden Strukturen, die Liz mit dem Titel der heutigen Vernissage „Struktur der Natur“ treffend ausdrückt und die sie uns mit ihren Bildern zeigen möchte.

Und wo ist die Natur? Ich denke, das ist trotz aller Abstraktheit unschwer zu erkennen. In jedem Bild ist die Natur, draußen, in ihrer reinen und meist unberührten Form thematisiert. Nicht immer gibt es ein Erkennen auf Anhieb und noch seltener werden alle das Gleiche erkennen. Es ist erlaubt und gewünscht, wenn jemand unter Euch vielleicht jene alte idyllisch gelegene Kiesgrube entdeckt, die sich die Natur wieder zurückerobert hat. Eines werdet Ihr aber mit Sicherheit gemeinsam entdecken: Alle Bilder sind geprägt von einer tiefen Harmonie, sei es die ruhige Harmonie in den stets selbst gemischten und sorgfältig gewählten Farben oder sei es die Harmonie in den Formen und Strukturen. Wie könnte es auch anders sein, denn in dieser Entdeckung blickt Ihr quasi hinter das Bild auf den ganz wesentlichen Charakterzug von meiner lieben Freundin Liz. Ihre Ausgeglichenheit und Ruhe habe ich schon immer bewundert und sehr geschätzt. Auf die Frage, warum die Gemälde alle keinen klassischen Rahmen haben, sondern sich erhaben auf einem gefärbten breiten Rand präsentieren, erhielt ich die Antwort „Weil es mir so gefällt“. Und diese Aussage soll nun auch das Stichwort sein, mit dem ich Euch in die Vernissage und die Betrachtung der Bilder verabschieden möchte.
So wie Liz sich die Freiheit nimmt zu entscheiden, wann ein Bild ihr Bild geworden ist, nehmt Euch die Freiheit zu entscheiden ob es Euer Bild ist. Sie wünscht es sich so.